Tibet_Fahne

Amithaba - Buddha

Tibet_Fahne

 

Und er sprach: “Folge mir.” Und ich folgte ihm und ging hinter ihm her, der jetzt klein erschien, alt und gebeugt - mit seinem Mönchsgewand und der goldgelben Mütze. Und er drehte sich um zu mir und sein Gesicht war reines, süssestes Licht. Und ich wusste, er hatte nur mir zuliebe sich klein gemacht und sich Gestalt gegeben. Es war Amitabha.

 
 

( Amithaba )

 

Und wir kamen an einen Felsvorsprung, er deutete hinunter und sprach: “Sieh hin. Guck es Dir genau an.” Und ich setzte mich in den Schneidersitz, schaute und wartete ab. Und ich fragte mich, was er wohl meinte. Da war der Flüchtlingszug, den ich schon kannte. Und es gingen, wie schon zuvor, Hunger, Leid und Krankheit mit all diesen Menschen. Sonst erblickte ich nichts. Da ging ich hinunter zu den Menschen und dachte: “Vielleicht sehe ich hier, was er meint.” Aber ich seufzte, denn Lust hatte ich keine. Und ich stand zwischen den Menschen, Tausende waren es, und hielt unvermittelt einen grossen Laib Brot unter meinem linken Arm. Und ich brach das Brot und verteilte es mit der Rechten. Und soviel ich auch austeilte, es wurde nicht weniger. Und ich hörte die Stimme Amitabhas, der sagte: “So ist die göttliche Liebe. Aber Du musst sie verteilen. Allein hast Du an Liebe zu wenig. Es reicht nur für alle, wenn es die göttliche ist, die Du austeilst.” Und ich brach das Brot und die Menschen scharrten sich um mich, von hinten brachen andere ab von dem Brot - es störte mich nicht. Es war genug da für alle.Und es sprengten berittene Soldaten vorbei und bemerkten uns nicht. Wir waren so viele, unendlich viele - aber wir waren ihren Blicken verborgen. Das Herz Tibets ist für die Chinesen unantastbar - und sie wissen es nicht. Irgendwann beschloss ich, nicht auf das zu achten, was ich tat, sondern auf die Menschen, die kamen: Kinder, Frauen, Männer, alte und junge - und sah erstaunt, dass sie ehrfürchtig sich näherten, sich verbeugten und das Brot nahmen, dass ich ihnen gab.

Das verdross mich, das wollte ich nicht und ging noch weiter unter sie, wurde ein altes, kleines Weiblein - aber ich kam nicht ihn ihr Bewusstsein - irgendetwas war falsch. Da ging ich weiter und kam an ein Kloster. Es war zerstört, die Wände waren leer geräumt, keine Statuen, Tangkhas, Behänge und Goldschatz - kahle Wände, Brandflecken überall - und vor dem Altar, der nun keiner mehr war, lag ein Mönch.

Er lag mit dem Gesicht zu Boden, völlig verkrümmt, sie hatten ihm den Hinterkopf eingeschlagen, aber er lebte noch - ein wenig zumindest. Und ich legte meine Hände um die Kopfwunde. Und blaue und gelbe Blitze schossen aus meinen Händen, es rauchte und flackerte, und ich war überzeugt, dass meine Hände nun mit dem Schädel verschmolzen, und ich sie nie wieder fort bekommen würde von dem Kopf des Mönchs. Wie es geschah, weiss ich nicht, aber es wuchs irgendwie zusammen - als wären die Zellen zum Wachstum angeregt worden - da wusste ich, es musste ein junger Mönch sein, irgendwie noch in sehr jungen Jahren. Und ich legte eine Hand an den Steiss und gab viel Energie hinein und der Junge zuckte wie im Orgasmus.

Später lag er in meinem Schoss, er war etwa 15 oder so, und weinte wie ein kleiner Junge. Er erzählte, wie schrecklich dies alles gewesen sei und wie er sich gefürchtet hatte; und war nur ein kleines Kind voller Angst. Und ich wusste, er würde dies hier nie wieder vergessen. Dann bemerkte ich, dass ich mehrere Hände haben musste: eine streichelte seinen Kopf, zwei hielten ihn auf dem Schoss, eine lag auf seinem Herzen, eine oberhalb des Schosses, einige zupften an seiner Kleidung herum.

Ich flüsterte ihm ins Ohr: “Erinnere Dich an das, was Du gelernt hast! Erinnere Dich an das, was Du weißt!” Und gab ihm eine Bettelschale in die Hand. Ich wusste, er konnte nur heilen, selber, wenn er im Lande umherzog als Mönch und weitergab, was er hier in diesem Kloster gelernt hatte. Er musste schon einige Zeit hier sein, 8 Jahre oder so schätzte ich, vielleicht sogar 10 - für die einfache Bevölkerung würde das ausreichen, was er wusste. Und er würde vielleicht auf diesem Weg wieder einen spirituellen Lehrer finden.

Er wurde fest, als ich ihm die Schale reichte, wurde ein Mann (er war um viele Jahre gealtert, seit ich ihn in den Armen hielt)und er schaute mich ernst und anklagend an - für einen buddhistischen Mönch fast zornig - und fragte: “Warum, Mutter? Warum stirbt Tibet?!” Nun, das war eine Frage, auf die ich auch gerne eine Antwort gewusst hätte. Ich sagte nur leise: “Warum bist Du nicht gestorben, heute?”

Und ich begab mich wieder zu dem Felsen, setzte mich zu den Füssen von Amitabha und fragte ihn danach.
“Tibet”, dies war die Antwort des Buddhas für mich, “ist eine alte, hoch entwickelte Kultur und überaus vital. Wie viele solcher Kulturen - und übrigens auch Menschen - ist Tibet viel zu kräftig, um zu bemerken, dass seine Zeit vorüber ist. Die Isolation Tibets ist seine Stärke, sein innerer Reichtum und begründet auch sein Sterben.” Und weiter führte Amitabha aus: “Irgendwann findet alles sein Ende: die Minute, der Tag, die Kindheit, ein Lidschlag Taras - die Lebensspanne von allem endet irgendwann. Und die von Tibet ist gekommen. Tibet, das in sich geschlossene Tibet, ist wie ein buddhistischer Mönch. Er kann nur in der inneren Versenkung und Abgeschiedenheit den buddhistischen Idealen nachkommen. Wird er aus dieser Abgeschiedenheit herausgerissen, verliert er seine gesamte Identität. Und, als der Mönch, der er ist, wird er sein Leben lassen und damit das einzige Opfer geben, dass er noch bringen kann einer neuen Zeit und den Veränderungen, die sie bringt. Tibet bringt ein Opfer. Es ist dies die grosse Chance für China, dem kommenden Reich Asiens - hier, auf dem heiligen Boden. Aber die Chance kann natürlich auch vertan werden. Wenn China sich nicht das Erbe Tibets zu eigen macht, wird es niemals ein heiles Volk werden, sondern seine innere Zerrissenheit beibehalten.”

Und ich fragte ihn: “Und die Tibeter?”
Er schaute seelenruhig in die Ferne, wedelte leicht mit seiner Linken und sagte: “Die Tibeter sind aus dem Klang tibetischer Erde gemacht.” Es klang wie: “Es ist unmöglich, dass ihnen wirklich etwas Schlimmes widerfährt.”
Und ich war empört und fragte: “Wo bleibt Dein Mitgefühl? Du sagst das so nüchtern!” Und er blickte mich liebevoll an, strich mir über die Wange und sagte: “Ach, mein Sohn, mein lieber Avalokiteshvara” 1) - seine Stimme war voller Zärtlichkeit, und seine Augen glänzten vor Liebe.

Dann stand ich auf (er hatte die ganze Zeit über gestanden). Bevor wir weitergingen, küsste ich noch einmal seine Füsse - sie schmeckten nach Kot und Erbrochenem und rochen auch so. Und ich wusste, diese Füsse waren durch mehr “Scheisse” hindurchgegangen, durch mehr Leid, Elend Angst und Tränen, als ich in meinem Leben jemals erblicken würde. Und ich küsste die Füsse noch einmal.

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Anmerkung der Verfasserin: Es ist dies oben stehende eine wertvolle Vision, und ich weine, wenn ich sie lese. Sie verbindet mich tief mit dem tibetischen Volk, und ich weiss mich in seiner Schuld. Dennoch - als ich sie niederschrieb, kam ich mir durchaus arrogant vor und habe mich gefragt, ob hier nicht die typische, wenn auch unbewusste, “weisse” Überlegenheit zutage tritt, die als grundsätzliches Lebensgefühl meinem Volk zu eigen ist.

Tibet ist ein altes, sehr altes Volk mit einem unglaublichen spirituellen und kulturellem Reichtum. Und da komme ich, eine weisse Frau, daher und breche den Tibetern das Brot?

Der junge 15-jährige Mönch hat sich mehr Wissen angeeignet, mehr Spiritualität erlangt und härter an sich gearbeitet, als ich in meinen ganzen 50 Lebensjahren. Und da komme ich, die ich Yoga erst seit Kurzem praktiziere, daher und übergebe ihm seine Lebensaufgabe?

Es hat mich dies alles sehr nachdenklich gestimmt.) 2)

 

Erklärungen zum Text:

1) Anfangs bin ich weder weiblich, noch männlich. Dass ich irgendwann weiblich bin, merke ich nur am jungen Mönch, der "Mutter" zu mir sagt. Das liegt aber weniger an der Gestalt, die ich habe, als daran, in welcher Gestalt er mich lieben und mir vertrauen kann. Amitabha, er sieht mich als Avalokiteshvara - denn Avalokiteshvara ist seinem Herzen entsprungen und diesem näher als jede andere Gestalt.

Avalokiteshvara, Tara, Kuan Yin - es ist ja alles dieselbe erbarmende Liebe. Ich war nur diese Energie und sonst nichts. Es gab weiter keine Identität oder ein "Ich oder so etwas in der Art. Das Geschlecht, die Gestalt, die haben mir die anderen gegeben, je nachdem, was ihrem Herzen am wohlsten tat. Für jeden Menschen auf dieser Welt hat "Liebe" ein anderes Gesicht, ein anderes Wesen, eine andere Geschlechtlichkeit.

2) Anmerkung von Vayu: in einem solchen Zustand ist man ja nicht mehr Alltagsmensch, sondern es kommen in diesem Zustand eine Fülle von Erfahrungen früherer Inkarnationen empor, es bildet sich ein zeitloser Mensch mit Summenerfahrung. Hierdurch erscheint der Mensch als völlig andere Persönlichkeit, als eine reifere Persönlichkeit mit einem überirdischen Wesenszug.

 
 

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